Vietnam als Kaiserreich \(968 bis 1672\): Im Kampf gegen das Reich der Mitte

Vietnam als Kaiserreich \(968 bis 1672\): Im Kampf gegen das Reich der Mitte
Vietnam als Kaiserreich (968 bis 1672): Im Kampf gegen das Reich der Mitte
 
Epochale Zäsuren, die es erlauben, die Geschichte Vietnams in ähnlicher Weise zu gliedern wie die europäische, nämlich in Altertum, Mittelalter und Neuzeit, lassen sich in Vietnam allenfalls mithilfe dreier Jahreszahlen markieren, nämlich 111 v. Chr., als das Land durch China annektiert wurde, 939, als die chinesische Fremdherrschaft endete und 1873, als Hanoi durch Franzosen eingenommen wurde.
 
 Vietnam als chinesische Kolonie
 
Von 111 v. Chr. bis zum Fall des chinesischen Weltreichs der Tangdynastie (907) war Vietnam nicht sehr viel mehr gewesen als eine chinesische Provinz (»Giao-chi«) mit Lebensformen, die vor allem bei der politischen und gesellschaftlichen Elite weitgehend sinisiert waren und gegen die sich nur von den Dörfern her, wo sich vorchinesische Traditionen erhalten hatten, Widerstand regte. Nicht ganz zu Unrecht bezeichnet deshalb die moderne vietnamesische Geschichtsschreibung das Jahrtausend der chinesischen Vorherrschaft als zehn Jahrhunderte des »Widerstands des vietnamesischen Volkes«, die von den Aufständen der Schwestern Trung(40—43 n. Chr.) bis zum Sieg Ngo Quyens über chinesische Marineeinheiten bei der Schlacht auf dem Bach-Dang-Fluss von 938 reichen — einer in jedem Schulbuch und jeder patriotischen Darstellung unverzichtbaren Episode. So stark hatte sich die tausendjährige chinesische Präsenz den Lebensgewohnheiten Vietnams eingeprägt, dass sie auch die nachfolgenden 900 Jahre weiterwirkte und erst mit der Kolonisierung Vietnams am Ende des 19. Jahrhunderts neuartige — diesmal französische — Einflüsse wirksam werden konnten.
 
Unmittelbar nach der Emanzipation von China im Jahre 939 waren es drei Aufgaben, die das selbstständig gewordene Vietnam vorrangig zu bewältigen hatte, nämlich der Aufbau einer autonomen Herrschaft, die Wahrung der Unabhängigkeit nach außen und die eng damit zusammenhängende kulturelle Verselbstständigung. Von vornherein war klar, dass Vietnam sich nur schwer vom Einfluss der damals weltweit fortgeschrittensten Zivilisation würde loslösen können. In der Tat folgte es dem Vorbild des Reichs der Mitte bereits bei der innenpolitischen Absicherung der Herrschaft, indem es versuchte, die in China so erfolgreiche Herrschaftstrias (Hof — Mandarinat — Optimatentum) nun auch im vietnamesischen Kontext nachzubilden.
 
Das dynastische Experiment gelang allerdings erst nach mehreren Anläufen: Zwar verlegte die Ngodynastie (939—965) ihre Hauptstadt sogleich, das heißt noch im Jahre 939, nach Co Loa, einem Vorort des heutigen Hanoi, und damit in die Metropole des einstigen Reiches Au Lac, das vor der Unterwerfung durch China 50 Jahre lang (257—208 v. Chr.) vietnamesische Hauptstadt gewesen war und daher hohen Symbolwert besaß. Doch konnte sich das neue Herrscherhaus trotz dieser symbolträchtigen Wiederanknüpfung an vorchinesische Traditionen nur 26 Jahre lang halten. Ihm folgte die Dinhdynastie mit gar nur elf Jahren (968—979), in deren Verlauf sich der einzige Herrscher dieser Linie mit dem Titel »hoang de« zu schmücken begann, also mit der dem chinesischen Vorbild entlehnten Kaiserwürde (»huangdi«). Bezeichnenderweise schickte er 971 auch eine Gesandtschaft nach China.
 
 Das Zeitalter des klassischen vietnamesischen Feudalismus
 
Erst nach diesen kurzlebigen Herrscherhäusern begann mit der Ly- (980—1225) und der Trandynastie (1225—1400) ein Zyklus von Herrscherhäusern, der an chinesische Dynastievorbilder denken ließ. Wesentlich geradliniger verlief der Aufbau eines bodenständigen Mandarinats, dessen Mitglieder durch eine gemeinsame Ziviltheologie, durch Verwendung des Chinesischen als Verwaltungssprache, durch hierarchischen Aufbau der bürokratischen Organisation, durch einheitliche Verwaltungsmethoden und vor allem durch die gemeinsame Qualifikation mittels Staatsprüfungen zusammengehalten wurden. Unter dem neuen Beamtentum begannen Formalisierung und Zentralisierung Gestalt anzunehmen. 1010 wurde die Hauptstadt nach Thang Long (»aufsteigender Drache«), dem heutigen Hanoi, verlegt. 1070 öffnete der dem Konfuzius gewidmete Literaturtempel (Van-Mieu) in Hanoi seine Pforten und wurde zur zentralen Prüfungsstätte des Beamtentums, dessen erfolgreiche Kandidaten namentlich auf Stelen verewigt wurden.
 
Was die ländliche Optimatenschicht anbelangt, aus der die Mandarinatsvertreter in aller Regel kamen und in die sie nach dem Ende ihrer Laufbahn wieder zurückkehrten, so bildete sie sich auf der Basis eines schnell wachsenden Grundbesitzertums heraus. Bereits der erste Lykönig hatte seine Mitkämpfer nach dem Sieg über die Machtrivalen aus dem Landadel hauptsächlich mit Bodenschenkungen belohnt. Auch die Tran begannen ihre Herrschaftssicherung damit, dass sie an ihre Gefolgschaft Domänen vergaben und zuließen, dass landlose Bauern den Latifundienbesitzern hörig wurden und von ihnen außerdem zur Neulandgewinnung herangezogen werden konnten. Damit wurden bereits jene sozialen Sprengsätze gelegt, die zwei Jahrhunderte später zünden sollten, zumal die Optimaten mittlerweile nicht nur Grundbesitzer, sondern auch Vertreter der Staatsgewalt auf Dorfebene geworden waren, wo sie häufig genug ihre Doppelgewalt auf Kosten der Hörigen missbrauchten.
 
Die vier Jahrhunderte, in denen die Dynastien Ly und Tran Herrschaft ausübten, waren das klassische Zeitalter jener Spielart des Feudalismus spezifisch asiatischer Prägung, der seit Karl August Wittfogel die Bezeichnung »hydraulisch« trägt: Anders als im mittelalterlichen Europa war es hier nicht nur eine grundbesitzende Schicht, sondern mehr noch eine Bürokratenkaste — das Mandarinat —, die das Ruder führte und dafür sorgte, dass die Bauern öffentlichen Arbeitsdienst leisteten, und zwar hauptsächlich im Bereich der hochwassergefährdeten Regionen des Roten Flusses und seiner Nebenflüsse, die in der Monsunsaison bis zu 15 m über Normalpegel anschwellen und verheerende Schäden anrichten, aber schon wenige Monate später wieder so weit absinken konnten, dass die umliegenden Felder vertrockneten.
 
Kein Wunder, dass die vietnamesischen Könige, kaum dass sich ihre Herrschaft gefestigt hatte, auch bereits zum Bau gewaltiger Schutzdeiche, Wasserreservoire und eines Netzwerks von Bewässerungsanlagen für die Reisfelder übergingen. Diese Aufgabe ließ sich im überlokalen Bereich nur von der mandarinären Bürokratie bewältigen, die damit zugleich auch zu einer (»hydraulischen«) Wasserbaubürokratie wurde. Bau und Pflege der Dämme stärkten wiederum die zentralistischen Tendenzen. Lebensstil, literarische Ausbildung, gemeinsame Auslese durch eine Staatsprüfung, zwischenbürokratischer Kommunikationsstil und eine gemeinsame »Große Tradition« sorgten ferner dafür, dass die Träger dieser »hydraulischen Herrschaft«, nämlich das Mandarinat, ein Wir-Bewusstsein entwickelten und, marxistisch ausgedrückt, zu einer »Klasse für sich« zusammenwuchsen, notfalls also, ungeachtet interner Fraktionsstreitigkeiten, bereit waren, ihre Privilegien mit allen dazugehörigen Mitteln nach außen hin zu verteidigen.
 
Hand in Hand mit dem Deichbau entstand auch eine umfangreiche Verkehrsinfrastruktur, da die »Straßen« in aller Regel auf den Deichkuppen verliefen. Die neue Hauptstadt Thang Long wurde auf diese Weise zum systematisch geplanten Mittelpunkt eines Verkehrsspinnennetzes — und damit zugleich zum Zentrum eines verhältnismäßig einheitlich verwalteten Reiches. Auch der überdörfliche Handel geriet unter die Kontrolle der staatlichen Bürokratie, da er seinen Weg ja in aller Regel über die staatlich kontrollierten Straßen nehmen musste und dort überall mit Wegezöllen und Steuern belegt werden konnte. Straßennetzwerke entstanden auch um die provinziellen Mittelpunktstädte herum. Die Ly-Tran-Zeit wurde auf diese Weise zu einer Epoche der Städtegründungen im Planverfahren. Seit 1054 legte sich der Gesamtstaat auch einen neuen Namen zu (»Dai Viet«).
 
 Bedrohungsvorstellungen
 
Die zweite Hauptaufgabe lief auf die Verteidigung der neu gewonnenen Selbstständigkeit gegen die Feinde von außen hinaus, die das junge Reich sowohl von Norden als auch von Süden bedrohten. Hauptgefahr blieb auch jetzt das Reich der Mitte: Jede der nachfolgenden chinesischen Dynastien startete nämlich mindestens einen Rückeroberungsversuch, seien es nun die Song (960—1279), die Yuan (Mongolendynastie, 1271—1368) oder die Ming (1368—1644). Vier Großangriffe mussten hierbei insgesamt abgewehrt werden: 1076 griffen die Song an und 1258 sowie 1287/88 die Mongolen, die vor allem bei ihrem zweiten Angriff eine verheerende Niederlage erlitten, und zwar wieder einmal auf dem Bach-Dang-Fluss. Die Ming allerdings konnten 20 Jahre lang (1407—27) direkte Herrschaft in Dai Viet ausüben. Von diesem Interregnum abgesehen, hat das Reich der Mitte nach 939 auf die Dauer freilich nie mehr in Vietnam Fuß fassen können.
 
Gefahr drohte auch von Süden her, erbten die Vietnamesen mit ihrer Abkoppelung von China doch gleichzeitig auch dessen Konflikte mit dem Königreich der Cham, Champa, das die chinesische Gefahr seit Jahrhunderten bekämpft hatte und das sich nun plötzlich mit dem neuen Staatswesen Dai Viet konfrontiert sah. Die Lydynastie nahm die südliche Herausforderung an, sandte ein Heer aus und war bei ihren militärischen Operationen so erfolgreich, dass die Truppen im Jahre 982 Indrapura, die Hauptstadt von Champa, einnehmen und den nördlichen Teil des Königreichs besetzen konnten. Dieser frühe Feldzug sollte seine Fortsetzung im 16. Jahrhundert finden, als der Klan Nguyen seinen »Marsch nach Süden« antrat und dabei nicht nur das restliche Champa unterwerfen, sondern später sogar das einst mächtige Khmerreich an den Rand der Vernichtung bringen konnte. Mit dieser nachmaligen »Süderweiterung« begann freilich auch die Spaltung des Landes in Nord- und Südvietnam. — Alle drei Grundthemen der vietnamesischen Geschichte, angefangen von der Dauerauseinandersetzung mit China über die Ausdehnung nach Süden bis hin zur Nord-Süd-Konfrontation, waren also bereits in der Ly-Tran-Periode angeschlagen worden!
 
 Kulturelle Emanzipation
 
Dritte Hauptaufgabe des mittelalterlichen Dai Viet war die kulturelle Verselbstständigung, die allerdings gegenüber dem zivilisatorisch blühenden China immer nur auf Teildistanzen zu erreichen war. Die Abhängigkeit zeigte sich hier besonders ausgeprägt bei der Verwendung der Chu Han (»Schrift der Hanchinesen«), die dem vietnamesischen Mandarinat noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Hauptkommunikationsmittel sowohl in der Verwaltung als auch in der Literatur diente — vergleichbar etwa der Rolle des Lateinischen im europäischen Verwaltungs- und Wissenschaftsbetrieb bis ins Spätmittelalter. Erst im 13. Jahrhundert entwickelte sich eine neue Schreibvariante, die Chu Nom, bei der die Deuter (Sinnangabeelemente) zwar »chinesisch« blieben, die Lauter (Ausspracheelemente) aber der vietnamesischen Sprechweise angepasst wurden. Damit stand Schriftstellern, die sich patriotisch ausdrücken wollten, erstmals ein halbwegs bodenständiges Schreibsystem zur Verfügung, das immer dann besonders häufig benutzt zu werden pflegte, wenn wieder einmal eine Epoche des Widerstandskampfes gegen China ausgebrochen war und eine Welle der nationalen Selbstbesinnung über das Land hinwegrollte. So brachte beispielsweise der führende Staatsmann, Feldherr und Literat des 15. Jahrhunderts, Nguyen Trai, im Umfeld der Verteidigungskämpfe gegen die Ming die älteste noch erhaltene Lyrikanthologie der vietnamesischen Literatur in Nomschrift heraus.
 
Eigenentwicklungen auf literarischem Gebiet ergaben sich aber lediglich in drei Bereichen, nämlich erstens bei der erwähnten Nomliteratur sowie zweitens bei der Entwicklung der Versliteratur, zu der nicht nur Gedichte, sondern auch Versromane gehörten und die sich — gleichfalls in Chu Nom — erst im 15. und 16. Jahrhundert voll entfaltete. Erdverbundener als diese »Gelehrtenliteratur« war aber drittens die nur mündlich weiterüberlieferte und erst später da und dort aufgezeichnete »Volksliteratur« der Volkslieder, Sprichwörter, Rätsel oder Märchen. Da ein Großteil der vor dem 15. Jahrhundert geschriebenen Literatur während der Invasion der Ming in Rauch und Flammen aufging, hat sich die Volksliteratur wesentlich eindrucksvoller erhalten können als die Gelehrtenliteratur.
 
Auch in anderen Bereichen der Kultur fiel der Apfel nicht allzu weit vom (chinesischen) Stamm. Soweit sich Traditionen nicht aus vorchinesischer Zeit hatten herüberretten können, wie es etwa bei der Ausgestaltung des Dinh, also des dörflichen Gemeinschaftshauses, oder aber bei sakralen Bronzekultgeräten (im Stile der Dongsonkultur) der Fall war, blieben die künstlerischen Äußerungen Vietnams auf bloße Variationen chinesischer Vorgaben beschränkt, sei es nun in der Architektur, in der Plastik oder in der Keramik. Lediglich in einigen Randbereichen wurden bodenständige Lösungen gefunden, so bei den Wasserpuppenspielen, bei der Ausgestaltung des Holzschnittes oder auch bei einigen Spielformen der Keramik.
 
Je mehr Vietnam vom übermächtigen Einfluss Chinas loszukommen versuchte, umso mehr verstrickte es sich in die chinesischen Vorgaben: Dies war die Tragik des »Kleinen Drachen«, die bis heute anhält und ein wunder Punkt im vietnamesischen Selbstbewusstsein geblieben ist. Gerade im kulturellen Bereich entwickelte sich ein besonders scharfer Gegensatz zwischen Dorf und Stadt, zwischen analphabetischem Bauerntum und Mandarinat sowie zwischen chinaorientierter »Großer Tradition« und der zum Teil immer noch vorchinesisch geprägten »Kleinen Tradition« der Dörfer. Die Dörfer waren es auch, die den Widerstand Vietnams gegen das Reich der Mitte immer wieder aufnahmen und denen dabei sowohl der (daoistisch verbrämte) nationale Heldenkult als auch chiliastische Vorstellungen aus der Gedankenwelt des Buddhismus als Antriebsmomente und ideologische Grundlage dienten.
 
 Die Krise des Feudalismus
 
Die drei Hauptaufgaben, wie sie während der Ly-Tran-Periode so konsequent verfolgt worden waren, galten auch der dritten großen mittelalterlichen Dynastie, den Le, als heilig. Die praktische Durchsetzung scheiterte jedoch daran, dass bereits der Machtantritt der Le von einer Krise des Feudalismus überschattet war; wurde die neue Epoche doch nicht nur durch eine von außen hereingetragene Katastrophe, nämlich durch das Interregnum der chinesischen Mingdynastie, in zwei Hälften (die »Frühe«, 1400—27, und die »Späte« Ledynastie, 1428—1788) zerschnitten, sondern zusätzlich auch noch durch innere Unruhen — Diadochenkämpfe und Bauernaufstände — heimgesucht.
 
Die innenpolitische Krise kam offen zum Ausbruch, als die ehrgeizige Familie Mac 1527 den Thron usurpierte. Allerdings konnte der Leherrscher nach Süden entkommen und dort mithilfe zweier machtvoller Klane, der Trinh und der Nguyen, eine Widerstandsbasis aufbauen. Die Trinh starteten 1591 eine Gegenoffensive, vertrieben die Mac vom Thron und stellten die Herrschaft der Lekönige wieder her, die von nun an freilich nur noch Wachs in den Händen der Trinh waren.
 
Die mit den Trinh mittlerweile verfeindeten Nguyen, die 1558 die Verwaltung in der Region Thuan Quang, des heutigen Huê, und einiger weiter südlich gelegener Provinzen übernommen und zur Hausmacht ausgebaut hatten, versuchten nun die Herrschaftsanmaßung der Trinh im Norden durch Errichtung einer Gegenregierung im Süden zu kontern. Am Ende weitete sich die Rivalität beider Klane zu einem Kampf um die Oberherrschaft über ganz Dai Viet aus, wobei jeder der Konkurrenten vorgab, im Namen der Le zu handeln, die der breiten Bevölkerung nach wie vor als Symbol für die Einheit des Landes galten. Der sich aus Einzelkämpfen entwickelnde Bürgerkrieg dauerte länger als der fast gleichzeitige Dreißigjährige Krieg in Europa, nämlich von 1627 bis 1672, und führte schließlich zu einer Stabilisierung der Fronten entlang einer Demarkationslinie, die am Fluss Gianh in der Provinz Quang Binh verlief: Damit war die erste vietnamesische Nord-Süd-Teilung eingeleitet, die erst 1802 wieder überwunden werden konnte.
 
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts kam es zu den ersten Berührungen mit dem Westen: Portugiesische Kaufleute errichteten um 1540 in »Faifo«, dem heutigen Hoi An (nahe Da Nang), und in anderen Teilen »Cochinchinas« (das sie durch Hinzufügung der Silbe »china« vom indischen Cochin unterschieden) ihre ersten Handelskontore. Den Händlern folgten katholische Missionare, vor allem Jesuiten, die gerade durch ein Edikt der Tokugawa aus Japan verbannt worden waren. Hauptmissionar wurde der aus Avignon stammende Alexandre de Rhodes (1591—1660), der bis 1627 mehrere Tausend Vietnamesen getauft hatte, darunter auch einige Prinzen des Hofes. Alexandre de Rhodes schuf das erste europäisch (lateinisch-portugiesisch)-vietnamesische Lexikon und wurde außerdem zum Urahn des Quoc ngu, des latinisierten vietnamesischen Schriftsystems, das seit 1945 offiziell in ganz Vietnam verwendet wird. Mit diesen Westkontakten, denen im 19. Jahrhundert die Kolonisierung Vietnams durch Frankreich folgte, wurde ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes aufgeschlagen, das Vietnam erstmals in seiner Geschichte ein Stück aus der politischen und kulturellen Umklammerung durch China herausführte.
 
Dr. Oskar Weggel
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Hinterindien zwischen einheimischen Mächten und europäischen Kolonialmächten: Wechselnde Hegemonien
 
 
Chesneaux, Jean: Geschichte Vietnams. Aus dem Französischen. Berlin-Ost 1963.
 
Fischer-Weltgeschichte, Band 18: Villiers, John: : Südostasien vor der Kolonialzeit. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1993.
 Huard, Pierre/Durand, Maurice: Connaissance du Viêt-Nam. Paris 1954.
 Lê Thành Khôi: 3000 Jahre Vietnam. Schicksal und Kultur eines Landes. Bearbeitet von Otto Karow. Aus dem Französischen. München 1969.
 Whitfield, Danny J.: Historical and cultural dictionary of Vietnam. Metuchen, N. J., 1976.

Universal-Lexikon. 2012.

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